Seit August letzten Jahres bin ich nun in Indien.
Nachdem ich jetzt ein halbes Jahr in Sneha Kiran –
Spastic Society gearbeitet habe, kann ich die Arbeit dort heute besser
beschreiben als in dem Halbjahresbericht. Am besten fange ich also noch einmal
mit einer kleinen Übersicht über meine Tätigkeiten dort an.
Montags bis Freitags, von 10 – 15 Uhr, verbrachte ich meine
Zeit in der Schule. Normalerweise musste ich einer Lehrerin folgen und ihr in
den Unterrichtsstunden helfen, sodass ich einen halbwegs geregelten Arbeitstag
hatte mit eigenen Klassen. Meine Hauptaufgabe war es, die Lehrerin zu unterstützen,
mit ihr die Kinder in kleinen Gruppen jeweils zu unterrichten und entsprechend
der Behinderung zu fördern soweit es möglich war. In jeder Klasse waren
durchschnittlich fünf bis acht Kinder, sodass Einzelunterrichte teilweise
möglich waren. Wenn ein paar Kinder intensiveren Einzelunterricht brauchten,
wurde den restlichen Kindern zunächst einmal eine Aufgabe gegeben, die ihre
motorischen Fähigkeiten verbessern sollten. Sobald die eine Hälfte der Klasse
dann mit dem für den Tag vorgesehenen Unterrichtsstoff fertig waren bzw. keine
Hilfe mehr von Lehrern brauchte, widmete man sich der anderen Hälfte der Klasse
und gab den Kindern, die fertig waren, jeweils Geräte zur Verbesserung ihrer
motorischen Fähigkeiten.
Ab und zu kam es vor, dass eine Lehrerin fehlte, dann wurde
ich in andere Klassen gebeten und musste dort auch mal Klassen alleine
unterrichten. Ich lernte die Kinder schnell kennen und erkannte, welches Kind
gerne singt, welches Klänge mag und welches davon anfängt zu schreien, welches
in der Lage ist zu begreifen und welches nicht ansprechbar ist.
Auch die Lehrer, mit denen ich anfangs nicht so viel zu tun
hatte, da sie beim Mittagessen nur „Kannada“, die Sprache Karnatakas, sprachen
und ich mich somit nicht so leicht integrieren konnte, lernte ich nach und nach
etwas besser kennen. Mit der Lehrerin, der ich folgte, hatte ich nach ein paar
Wochen bereits eine gute Verbindung. Sie freute sich über meine Hilfe, hatte
selbst ab und zu ein paar Fragen zu Grammatik oder Rechtschreibung und wir
unterhielten uns über mehr Themen als Essen und Familienstammbäume, also mehr
als das, was ich tagtäglich in Indien gefragt wurde.
Lehrer, Aufpasser und Betreuerinnen der Kinder mir gegenüber
sehr freundlich und hilfsbereit und wenn ich Fragen oder Probleme hatte, wusste
ich, dass mir jederzeit jemand versuchen würde zu helfen. Insbesondere meine
Projektbetreuer vor Ort waren sehr nett und wollten, dass ich in Sneha Kiran
eine schöne Zeit habe. Sie waren offen für Verbesserungsvorschläge, fragten
nach neuen Ideen für die Unterhaltung oder Ausbildung der Kinder. Ich wurde gut
aufgenommen, zwar mit einer gewissen Distanz, jedoch hat man die Möglichkeit
sich gut zu integrieren, nach einer kurzen Zeit, und auch hat man die
Möglichkeit eigene Ideen einzubringen und zu verwirklichen.
In dem halben Jahr konnte ich den Lehrern bei der Arbeit
helfen, auch bei der eigenen Weiterbildung, ich habe in den letzten Wochen
meines Aufenthalts einen Teil der Schule gestrichen und mit kleinen Bildern
verziert und versucht den Kindern jeden Tag so schön und auch spaßig wie
möglich zu bereiten.
In Mysore war ich in einer Gastfamilie untergebracht, die
aus einem älteren Ehepaar bestand, dessen Kinder bereits ausgezogen waren. Wir
waren also nur zu dritt in dem Haus.
Morgens half ich meiner Gastmutter immer beim Kochen, was
meistens eine Stunde in Anspruch
nahm. Gemüse waschen, schneiden, Zutaten heraus legen,
spülen, essen. Sie zeigte mir, wie man verschiedene indische Gerichte
zubereitet. Während des Morgens hatten meine Gastmutter und ich die Möglichkeit
uns länger zu unterhalten, sie konnte sehr gut Englisch sprechen, und wir
tauschten uns darüber aus, was wir am Tag unternehmen würden und ob etwas
besonderes am Wochenende anstand oder sonstiges. Den Tag über war ich in der Schule
und traf mich für gewöhnlich danach noch mit Freunden, während meine Gastmutter
viel mit ihrer Arbeit in der Bank beschäftigt war und selbst erst nachmittags
nach Hause kam. Tagsüber sahen wir uns also kaum. Mein Gastvater war bereits in
Rente gegangen, weshalb er tagsüber normalerweise Zuhause war und Fern sah.
Wenn wir abends alle wieder Zuhause waren aßen wir im Wohnzimmer vor dem
Fernseher zu Abend und schauten dabei die Serien, die sich meine Gasteltern
jeden Abend ansahen. Viel geredet haben wir dann also auch nicht.
Mit meiner Gastmutter hatte ich bis zum Ende hin ein gutes
Verhältnis, mit meinem Gastvater verstand ich mich zwar gut, jedoch redeten wir
nicht so viel. Ich fühlte mich sehr wohl und willkommen in meiner Familie und
ich denke ich konnte mich so weit integrieren, dass ich vorübergehend wie ein
Teil der Familie behandelt wurde.
Rückblickend hätte ich mir gewünscht, dass ich mir mehr Mühe
im zweiten Projekt gegeben hätte. In dem ersten Projekt hatte ich vormittags
nicht sehr viel zu tun außer Unterrichtsstunden vorzubereiten, da die Kinder in
der Schule waren. Anfangs hatte ich nach Schulschluss einen sehr strikten
Zeitplan an Unterrichtsstunden geben, Hausaufgabenbetreuung, Therapie etc. Nach
einer Zeit wurde meine Hilfe allerdings nicht mehr so viel benötigt, weswegen
ich weniger mit den Kindern unternehmen konnte. Ich war etwas enttäuscht,
langweilte mich des Öfteren und war froh über den Wechsel im Januar. Nachdem es
mich so viel Anstrengung und Zeit gekostet hatte mich im ersten Projekt richtig
zu integrieren und ich letztendlich etwas enttäuscht war, hatte ich nicht mehr
richtig die Motivation mich komplett auf das neue Projekt und die Lehrer
einzulassen. Ich habe mir Mühe gegeben, aber ich weiß, dass ich es noch besser
hätte machen können.
Auch hätte ich gerne die Sprache gelernt, Kannada, doch da
ich vor allem hier war um den Kindern Englisch beizubringen war es schwierig
richtig in die Sprache zu kommen. Auch gab es genug andere Dinge, mit denen ich
mich im Ausland auseinander gesetzt habe, weswegen es nicht mein wichtigstes
Ziel war sie zu lernen. Ein paar Begriffe und Redewendungen habe ich zwar
gelernt, aber ich würde trotzdem gerne mehr verstehen und reden können.
Ansonsten denke ich, dass ich in dem Jahr viel über
kulturelle Unterschiede gelernt habe. Anfangs kam mir alles so fremd vor, heute
muss ich danach suchen was anders ist als in Deutschland. Dabei
beziehe ich mich nicht nur auf meine Umgebung (Kühe die auf
der Straße herumlaufen, Männer in Lungis, Frauen in Saris, die indische
Bauweise der Häuser, die ungleichmäßigen Gehsteige, die
vielen Rikshas und Motorräder und vieles mehr) sondern auch
auf Verhaltensweisen der Leute in meiner Umgebung wie Redensarten,
Körpersprache etc. Heute muss ich überlegen, wie es in Deutschland aussieht,
wie die Menschen aussehen, wie sie in bestimmten Situationen reagieren. Ich
habe mich in Indien eingelebt und Teile der Kultur kennen, leben und lieben
gelernt.
Indien hat mir auch Geduld beigebracht, denn mit dem
Straßenverkehr in Indien kann man denselben Zielort an manchen Tagen schnell
erreichen, manchmal braucht man allerdings doppelt so lange. Zeit spielt in
Indien keine so große Rolle. Es macht selten Leuten etwas aus, wenn man eine
halbe Stunde später den Treffpunkt erreicht als abgemacht. Warten ist zur
Normalität geworden. Ich habe auch gelernt, mehr auf mich allein gestellt zu
sein und mit Problemen selbstständiger und offener umzugehen. Mittlerweile gehe
ich mehr auf Leute zu und bin auch selbst offener für fremde Menschen und Ansichten.
Ich denke es war gut, dass ich im ersten Projekt vorerst
alleine war, so musste ich mich mit allem direkt auseinandersetzen und habe
mich nicht an einen anderen Freiwilligen gehangen. Dadurch habe ich meine
Selbstständigkeit lernen können. Trotzdem konnte ich mich bei Fragen oder
Problemen jederzeit an meine Betreuer von ICDE wenden und ich konnte mit
Unterstützung rechnen. Ich denke aber, dass ich die Betreuer nicht dringend
brachte, da ich alles wichtige mit den Betreuern vor Ort, also denen im Projekt
oder der Gastfamilie, absprechen wollte, da ich bei ihnen lebte und mit ihnen
klarkommen musste. Da wollte ich selbst schaffen.
Auf fachlicher Ebene habe ich ebenfalls eine Menge gelernt.
Ich hatte vorher keine Erfahrung mit der Arbeit mit Kindern, insbesondere keine
mit behinderten Kindern.
In dem Kinderheim fand ich es anfangs schwierig mit so
vielen Kindern umzugehen und Respektsperson und Freund gleichzeitig zu werden,
den richtigen Ausgleich zu finden. Doch mir gefiel die Arbeit mit den Kindern
und ich habe seitdem nicht mehr so viel Respekt davor mit ihnen zu leben und zu
arbeiten.
Mit behinderten Kindern zu arbeiten konnte ich mir vor
meinem Freiwilligendienst nicht im geringsten vorstellen, wahrscheinlich, weil
ich nie mit welchen in Kontakt gewesen war und ich etwas Angst vor dieser
„Fremde“ hatte. Wie sollte ich mit ihnen umgehen?
Doch ich lernte nach und nach in „Sneha Kiran“, der Schule
für Behinderte, dass es schön ist mit ihnen zu arbeiten und nicht etwa
merkwürdig oder erschreckend. Sie waren ehrlicher als die Kinder im Kinderheim,
die manchmal versucht hatten mit kleinen Schwindeleien Vorteile für sich
herauszuziehen oder den Unterricht einfach aus Spaß zu stören. Die Kinder mit
Behinderungen waren ehrlicher, sie hörten auf einen und nach ein paar Tagen
merkte ich, dass man sie genauso zu behandeln musste wie Kinder ohne
Behinderung, außer, dass sie mehr Unterstützung, Betreuung und Zuwendung
brauchten. Mir machte die Arbeit mit ihnen bald großen Spaß, ich fühlte mich
gebraucht und half dementsprechend auch gerne.
Ich hatte mir das Jahr Indien anders vorgestellt, wobei ich
nicht sagen kann, ob besser oder schlechter. Einfach anders. Ich war mit keinen
großen Erwartungen oder Vorstellungen nach Indien gegangen, ich konnte mir nicht
vorstellen, wie es sein könnte. Das erste halbe Jahr verbrachte ich in diesem
modernen Kinderheim in Bangalore, was für mich nicht sehr anders erschien als
in Deutschland, weswegen ich mich schnell einbringen konnte. Das Indien,
welches ich ein halbes Jahr später in Mysore erlebte und lebte, war für mich
schon ein sehr großer Kontrast und mehr das, was ich mir unter Indien
vorgestellt hatte. Das Haus in dem ich lebte war kleiner, es lief viel
indisches Fernsehen, ich lernte indisch zu kochen und ich konnte nach meiner
Arbeit noch etwas unternehmen, beispielsweise auf den Markt gehen und das
Treiben dort beobachten. Ich konnte die indische Kultur sehen und leben, ich
war nicht mehr so abgeschirmt von dem normalen alltäglichen Dinge der Inder wie
beim ersten Projekt. Ich sah nicht nur noch zu, sondern war Teil geworden.
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